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Schweizer Führungskräfte im Gespräch
Hierarchischer Autopilot rigoros hinterfragt

Bei dem mittelständischen Gesundheitslogistiker Cosanum AG mit rund 140 Mitarbeitenden, den sogenannten «Happy cosaMembers», tragen Thomas Schefer und sein Vater Bruno Schefer formal die Verantwortung als Verwaltungsräte und Geschäftsführer. Sie verstehen sich aber als Headcoach-Tandem und haben den Begriff CEO, sonst übliche Hierarchien, Führungsfunktionen und das klassische HR in ihrem Unternehmen abgeschafft.

Thomas Schefer, Cosanum AG ist ein sehr modernes, innovatives Schweizer Unternehmen im Vertrieb von Medizinprodukten. Ist Cosanum nun ein Medical-Unternehmen oder ein Logistik-Unternehmen?

Wir nennen uns Gesundheitslogistiker und sind ein Logistikunternehmen, das Medizinprodukte vertreibt. Somit sind wir eine Fusion von beidem, also ein Logistik-Medical-Unternehmen.

Cosanum hat in den letzten 8 Jahren rigoros die Unternehmensstruktur und -kultur verändert und dabei nicht nur die Hierarchien, sondern auch klassische Funktionen und Titel abgeschafft, warum so rigoros?

Wir wollten uns bewusst vom klassischen Hierarchiedenken verabschieden und da mussten wir die klassische Führungskultur und konsequenterweise auch die mit ihr verbundenen klassischen Funktionen und Namen hinterfragen. Der Titel CEO, CFO oder Teamleiter XY – alle diese Titel und entsprechende Funktionen sind verknüpft mit dem bekannten hierarchischen Denken. Jeder weiss, wer wo in der Hierarchie steht und je nachdem welche Stufe man erreicht hat, gibt es dann Privilegien, z. B. der Parkplatz des CEOs, der am nächsten beim Eingang gelegen ist. All diese hergebrachten Verknüpfungen wiederum haben eine Auswirkung auf die gesamte Kultur und diese wollten wir durch und durch verändern und unsere eigene erschaffen.

Wie haben Sie diesen mutigen Veränderungsprozess umgesetzt?

Wie Sie sagen, es ist ein Prozess und wir sind laufend dran, immer wieder unser altbekanntes, klassisches Denken und das daraus resultierende Handeln – man könnte auch sagen den «hierarchischen Autopiloten» – zu hinterfragen. So haben wir vor einem Jahr gemerkt, dass es nichts bringt, wenn wir nur die Bezeichnung für die Geschäftsleitung ändern und weiterhin GL-Sitzungen abhalten. Darum haben wir das Gremium «Geschäftsleitung» auch abgeschafft – es gibt keine solchen Sitzungen mehr bei uns.

Und bei wem liegt nun die Hauptverantwortung?

Als Familienunternehmen sind wir der Meinung, dass wir den holokratischen Weg nicht bis zur letzten Konsequenz ausleben können. Somit tragen wir zusammen mit unseren Family-Board-Members als Co-Head-Coaches die finale Gesamtverantwortung für das Unternehmen. Die Frage ist vielleicht weniger, wer die Verantwortung trägt, sondern viel mehr, wie die Verantwortung gelebt wird. Es ist unser Bestreben, dass jedes «Happy cosaMember» Verantwortung für unser Unternehmen wahrnimmt.

Was war für Sie persönlich in diesem Veränderungsprozess die grösste Herausforderung?

Für mich ist die grösste Herausforderung, nicht immer eine Antwort zu liefern, sondern den Mitarbeitenden den Raum zu geben, die Lösungen selbst zu finden und sie dabei zu begleiten. In einer klassischen Hierarchie trauen sich die Mitarbeitenden viel zu selten, selbst Entscheidungen zu treffen. Interessanterweise konnten wir dabei feststellen, dass die Mitarbeitenden zu 99 % genau die Entscheidungen getroffen haben, die wir auch getroffen hätten.

Stichwort HR, das gibt es bei Cosanum im klassischen Sinne auch nicht mehr …

Genau, bei uns gibt es keine HR-Mitarbeitenden mehr. Wir haben die klassischen HR-Aufgaben, die nicht linear anfallen, intern im Team aufgeteilt. Bei technischen HR-Fragen hilft uns eine externe «on demand» HR-Spezialistin. Dadurch konnten wir einerseits Ressourcen besser verteilen und gleichzeitig die Qualität steigern.

Welche Kultur hat Cosanum denn nun neu geschaffen?

Eine Teamkultur möglichst unabhängig vom klassisch-hierarchischen Denken, d. h. der CEO und die Teamleiter führen nicht mehr im klassischen Sinne, sondern sind Coaches, die das Team begleiten und motivieren, selbst mitzudenken und verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Dadurch wird jedem und jeder Einzelnen, die aufgrund seiner und ihrer Fähigkeiten notwendigen Umsetzungskompetenzen zugesprochen. Schliesslich sind wir ein grosses Team, mit dem einen Ziel, unsere Kundinnen und Kunden glücklich zu machen.

Welche Vor- und Nachteile haben sich durch diesen rigorosen Kulturwandel für Cosanum ergeben?

Es ist ein viel natürlicheres Umfeld entstanden, in dem hierarchisch-funktionale Rollen nicht mehr abgespult werden, sondern in dem wir einfach wir selbst sind und sein dürfen. Durch den Wandel sind auch das Verantwortungsbewusstsein und die Motivation gestiegen, der Spass an der Arbeit und das Vertrauen in die eigene Kompetenz sind grösser geworden. Das hat zur Folge, dass wir viel effizienter und schneller geworden sind und dadurch einen Marktvorteil erarbeitet haben.

Eine Folge dieser Organisationsform ist, dass nicht jede oder jeder bei uns glücklich werden kann. Wer innerhalb des Unternehmens sogenannt hierarchisch «aufsteigen» will, um «höher» oder «besser» als andere zu sein, der ist bei uns fehl am Platz.

Wer bei Ihnen arbeitet hat keinen Jobtitel. Gibt das später für Ihre Mitarbeitenden, die sogenannten «Happy cosaMembers», keine Probleme auf dem Arbeitsmarkt?

Da mache ich mir absolut keine Sorgen. Wer bei uns gearbeitet hat, besitzt aufgrund der Entscheidungsbefugnis und Verantwortungsgebiete einen sehr grossen Erfahrungsrucksack und ich bin überzeugt, dass wir nicht mehr lange allein sein werden mit diesem Denken. Ausserdem haben wir das hehre Ziel, bei uns eine Fluktuationsrate von maximal 2% zu erreichen.

Seit rund einem Jahr bilden Sie und Ihr Vater zusammen ein Headcoach-Tandem. Was waren die Beweggründe für diese Konstellation?

Ein Generationenwechsel in einem Familienunternehmen ist ein sehr heikler Moment, den wir sehr gut und auch natürlich gestalten wollen. Das geht aus unserer Sicht am besten als Tandem. Das hat für mich den Vorteil, dass ich mich sehr gut einarbeiten kann und mein Vater, der mit Herzblut die Firma über viele Jahre gecoacht hat, kann eine sanfte, sukzessive Übergabe machen. Wir werden das sicher noch einige Zeit so fortsetzen.

Die Farbe Violett fällt auf – bei Cosanum hat alles einen violetten Touch, von den grossen LKWs über die Verpackungen bis hin zu Bezeichnungen wie «The violet Family». Was hat es mit der violetten Farbe auf sich?

Unsere Brandfarbe Violett entstand über die Zeit. In der Gesundheitsbrache ist oft alles weiss, grünlich und bläulich, also eher etwas steril. Da haben wir begonnen, uns mit der Farblehre auseinanderzusetzen. Die Farbe Violett war früher dem Kaiser oder König vorbehalten und da für uns der Kunde König ist, haben wir dann unsere frühere grüne Brandfarbe durch Violett ersetzt und unser ganzes Branding danach ausgerichtet.

Cosanum ist enorm innovativ und digitalisiert unterwegs. Sie haben u. a. einen Rollwagen erfunden, der OP-Utensilien direkt in den OP-Saal transportiert, um dadurch Kosten zu senken. Mittlerweile ist Ihr Konzept «cosaOP Logistics» auch patentiert. Woher nehmen Sie die Inspiration und die Kraft für die Umsetzung?

Wir haben die Devise: Mit Herzblut weitermachen auch dann, wenn andere sagen, dass es so nicht gehen kann. Dieser Rollwagen ist ein gutes Beispiel, wie wir stets versuchen, bei unseren Kunden durch innovative Ideen einen Mehrwert zu schaffen. Wenn wir unserer Firma als lokal verankertes KMU eine Zukunft geben wollen, müssen wir viel mehr leisten als grössere Unternehmen. Das motiviert und treibt uns voran.

In den letzten 12 Monaten, was war für Sie die grösste Herausforderung, was waren die grössten Highlights?

In Zeiten von COVID-19 die Schweizer Spitäler und Altersheime verlässlich mit medizinischem Verbrauchsmaterial zu beliefern war eine enorme Verantwortung und grosse Herausforderung. Trotzdem hat es reibungslos funktioniert und das gesamte Cosanum-Team hat einen hervorragenden Job geleistet. Für uns war es enorm schön, zu sehen, dass wir mit unserer Arbeit einen Beitrag zur Bewältigung dieser Krise leisten durften. Diese Sinnbestätigung ist ein grosses Highlight, das uns als Firma sehr gestärkt und motiviert hat.

Cosanum spricht von sich als «Game changer». Was soll zukünftig noch verändert werden und wo sehen Sie Cosanum in 5 Jahren?

Die Transformationsphase haben wir hinter uns, nun sind wir in der Evolutionsphase, die ist viel natürlicher. Wir werden unsere Organisation weiterentwickeln, das Muster der geläufigen Arbeitszeiten werden wir hinterfragen, und extern werden wir noch konsequenter Teil der Prozesse der Kunden, d. h. der Spitäler werden. Wir werden weiterhin neue, innovative Lösungen ausarbeiten.

Neben der Arbeit, was begeistert Sie?

Ich bin ein Bergmensch und liebe es, draussen in der Natur sein. Und ich bin ein sehr leidenschaftlicher Vater. Meine drei Kinder begeistern mich jeden Tag von neuem.

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